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Erzählungen einer alten Dame

An einem kleinen Fischerdorf, das recht zentral auf der Karte Aegorins liegt und deshalb häufig Treffpunkt vieler unterschiedlicher Wesen ist, steht der Nachthimmel in seinen schönsten tief-dunklen Farben. Nur die Sterne vermögen den Himmel heute zu erleuchten. Zu solch später Stund’ ist kaum noch jemand auf den Straßen und Wegen des Örtchens Nagorith. Lediglich Büttel, die heldenhafte Wache des Dorfes, streift durch die dunklen Gassen, sieht ab und an zu den ruhenden Händlern und den Lagerfeuern, an denen heute niemand zu sitzen scheint, vorbei. Dennoch scheinst du heute nicht die einzige Gestalt zu sein, die es zur dunklen Stunde herauszieht. In der Dunkelheit, hinter der Turmruine, kannst du eine dir bisher fremde Gestalt erkennen. Als du näher an sie herantrittst, erkennst du eine alte, schrumpelige Elfendame. Vergeblich versucht sie einige Strähnen, welche aus ihrem strengen Dutt gefallen waren, hinter ihre spitzen Ohren zu klemmen. Sich auf einen Gehstock stützend, ist ihr Blick durch und durch auf das Flackern des kleinen Lagerfeuers in der Ferne gerichtet. Umwickelt in einem schwarzen Tuch sieht die alte Frau aus wie eine Witwe, die um ihren Ehemann zu trauern schien. Ihre scharfe Stimme lockt dich aus deinem Versteck:

“So starr’ doch nicht so und komm heran. Leiste einer alten Dame Gesellschaft. Ich mag dich nicht sehen, doch hören mag ich dich mit Sicherheit.”

Die alte Frau, den Blick noch nicht einmal gehoben, wartet geduldig, bis du die ersten Schritte zu ihr machst. 

“Weißt du… zu solch später Stunde hätt’ man dich früher als leichte Beute bezeichnen können. Ihr jungen Leut’ kennt die Zeiten von damals nicht mehr…
Ich habe in meinen vielen Jahren so viele Gesichter gesehen und so viele Stimmen gehört, aber selten ist das Land so ruhig gewesen, wie es heute der Fall ist.”

Langsam öffnet die Frau ihre Augen, in denen sich die Flammen des Lagerfeuers widerspiegeln. Ehe du etwas sagen kannst, fängt die alte Frau an zu sprechen.

“Sicherlich willst du den Worten einer alten Dame, die in diesem Land erlebt hat, ein paar Minuten lauschen… So lass mich dir die Geschichte Aegorins erzählen. Vor über 1000 Jahren war dieses Land ein blühendes Stückchen Erde. Die Völker lebten in Frieden zusammen und Zwerge, Elfen, Menschen und die vielen anderen Kreaturen, die Aegorin ihre Heimat nannten, erbauten lebendige Städte und fantastische Monumente. Doch alles sollte sich ändern, als die Drachen, Kreaturen mit Mäulern, gespickt mit scharfen Zähnen und der Atem, so heiß, dass er einen lebendig verbrennen könnte, das Land überfielen. Waren sie bisher nur als Wesen aus Märchen bekannt gewesen, erschienen sie den Erdbewohnern nun in voller Pracht und Grausamkeit. Man erzählt sich, dass ein Drache, so schrecklich und bösartig, dass kein Mensch es je hätte begreifen können, eine Gruppe aus 17 weiteren Drachen um sich rief, um die Herrschaft im Land an sich zu reißen. Ein schrecklicher Krieg entflammte, als die Drachen, die nicht bereit waren, jenem Ungetüm zu folgen, sich gegen ihre Artgenossen stellten. Der Drachenkrieg sollte das Land für immer verändern.” 

Ein kurzes Husten unterbricht die Dame, wobei ihre Hand sofort nach einem Trinkschlauch greift, um aus diesem zu trinken. Ihre sanften, alten Gesichtszüge haben sich während der Erzählung verzogen. Ob sie ein Teil der Geschichte war? So sehr du auch fragen willst, die Dame erhebt bereits wieder die Stimme und starrt dieses Mal nichts ins Feuer, sondern direkt in deine Augen. 

“Auch wenn die Wesen des Erdreiches mit jenen Drachen, die sich nicht den finsteren Plänen der 17 Drachen anfreunden konnten, gemeinsam den Krieg für sich entscheiden konnten, war das Leben auf Aegorin nie mehr so friedlich wie zuvor. Der grausame Krieg hat nicht nur das Mysterium um die Drachen gelüftet, sondern sie als Bedrohung für alle Wesen enttarnt. Drache um Drache wurde in erbarmungslosen Hetzjagden niedergemetzelt, sodass bald kein Drache es mehr wagte, sich öffentlich zu zeigen. Viele Jahrhunderte ging dies so… Der zerfallende Gefängnisturm in Nagorith zeugt heute noch von jenen Jagten. Es herrschte Chaos im Land… bis sich vor wenigen Jahren eine Gruppe Händler zusammenschloss, um Ordnung in das Land zu bringen. Eine neue Ära sollte für Aegorin anbrechen.”

nagorith

Ein Stück Holz knackt und fällt noch weiter in die Asche, wirft ein wenig davon hinauf und lässt die Flamme noch ein wenig heller erscheinen. Die Frau beugt sich langsam ein wenig weiter nach vorne, um dir ein wenig näher zu sein. Ihre Stimme wird leiser und leiser. Nur noch so laut, dass das Feuer sie nicht übertönt. Ihre bleiche Haut wird vom roten Licht der Flammen erhellt, lässt so allerdings die Falten noch tiefere Schatten ziehen und sie noch älter aussehen.

“WHG, die Westliche Handelsgesellschaft, wenn ich mich nicht täusche. Sie hatten ihren Sitz in der Stadt Lehfurt, welche an der Stelle errichtet wurde, wo der Fluss Leh sich spaltet. Sie erbauten sich eine Handelszentrale auf mit einer nicht zu unterschätzenden Armada. Aus der versprochenen Ordnung wurde ein Machtmonopol, welches sie durch eigene Gesetze und Verbote stärkten. Bald durfte niemand mehr ohne die Erlaubnis der WHG eine scharfe Waffe mit sich tragen. Jene, die der WHG gefährlich werden konnten, wie die Drachen oder Magier, die sich zu dieser Zeit in dem Land niederließen, wurden erbarmungslos gejagt. So kämpften die beiden Parteien gegeneinander und versuchten sich gegenseitig auszustechen, bis die WHG von einem engen Vertrauten verraten wurde. Er ließ sich auf ein Bündnis mit einem der Magier ein und konnte so die Armeen der WHG von innen heraus zersprengen. Die WHG zerfiel in viele Stücke und viele Anhänger verließen Aegorin wieder. Der Verräter allerdings baute weit im Norden eine neue Stadt und ließ sich zum ersten König von Aegorin krönen.“

Sie stockt kurz in ihrer Erzählung und lässt ein leises Seufzen vernehmen. Ihre Augen richten sich kurz auf die Flammen des Feuers, ehe sie ihre Geschichte wieder aufnimmt.

„Doch niemand kann sich einfach ein König nennen, ohne auf Unruhe in diesem Land zu stoßen. Seine Zeit als König war geprägt von Unruhe und Verrat und endete auch mit diesen. Ohne König schien das Land wieder zurück in alte Zeiten zu verfallen. Keiner traute dem Anderen mehr über den Weg. Es dauerte nicht lange, ehe ein Magier versuchte, das Machtgefälle für sich zu nutzen. Magnus Hain war der Name des Burschen, der sich in den Kopf gesetzt hatte, dass Aegorin einen neuen… einen besseren König brauchte. Oder viel eher: Eine Puppe, welche ihm gehorchte. So gründete er die Royale Front, eine Gruppe starker Krieger unter seiner Führung, die die Königin Loren auf den Thron setzten. Doch sie war nicht mehr als ihre Puppe – ohne Macht oder Entscheidungsgewalt…. So dauerte es nicht lange, bis die Royale Front sich Feinde machte. Die Berüchtigsten von ihnen war die schwarze Sonne. Eine Horde von Geheimniskrämern, die jene ermordeten, die der Royalen Front treu waren. So vergingen die Monate voller Morde, Gewalt und Verrat. Wenn du denkst ‘Schlimmer kann es nicht mehr kommen’… dann hast du dich gewaltig geirrt.“

Ein kleiner Windstoß fängt an zu wehen und wirbelt einige Funken auf, die im Wind umher tanzen, ehe sie verglühten. Die alte Dame schaut ihnen kurz nach. Sie sah so aus, als sei sie in den letzten paar Minuten noch älter geworden. Mit einem Seufzen schaut sie dir wieder in die Augen und ihre Stimme ist erfüllt von Trauer und Leid.

„In diesen Zeiten des Chaos verbreiteten sich Gerüchte wie ein Lauffeuer. Man munkelte, dass die Magier des Landes auf der Vulkaninsel, dem Ankrar, eine Akademie errichten würden und so ihr Wissen frei zugänglich machen wollten und kurz hofften wir, dass wir mit der Macht der Magie wieder ruhigere Zeiten schaffen könnten. Ein weiteres Gerücht sprach von finsteren Mächten, welche sich auf der Festung Aschmark verbreiten sollten…“

Ankrar_heile

„Inmitten dieser Unruhe geschah das Undenkbare. Königin Loren löste die Royale Front auf und gab auch so ihre Krone ab… Wie ein Kartenhaus fiel nun die Royale Front, die nun ihre Machtlegitimation verloren hatte, in sich zusammen. Jene, die versuchten, das Reich zu retten, wurden schließlich von der schwarzen Sonne ermordet, ehe auch sie sich irgendwann auflösten. Nach ihr wurde Kenhir, der Herrscher von Dämmerstern, König Aegorins. Doch auch seine Regentschaft war von einer schweren Krise geplagt. Aus den Gerüchten rund um die Festung Aschmark erhob sich ein weiteres Grauen… Untote. Unter der Führung eines mächtigen Vampirfürsten breitete sich Dunkelheit von der Festung Aschmarks aus. Die Vampire, deren einziges Ziel es schien Lebende zu versklaven, zu korrumpieren oder umzubringen, fielen mit ungeheuren Schrecken über Nagorith und viele weitere Städte des Landes her. Unter König Kenhir stellten sich die Lebenden den Vampiren entgegen. Nach langen Kämpfen und vielen Verlusten schafften wir es auch die Festung Aschmarks zu erobern und die Vampire zu vernichten…“

Aschmark

Ihre Stimme fängt an zu stocken und man erkennt deutlich den Schmerz und die Trauer um eine geliebte Person. Ihr nun von Tränen erfüllter Blick wandert runter zu ihrer rechten Hand, an der man einen wunderschönen goldenen Ehering sieht. Die alte Dame schweigt einen Moment lang, bevor sie sich die Tränen wegwischt und nun mit wieder gefasster Stimme weiterspricht.

“Nachdem wir gewonnen hatten, dankte Kenhir ab. Es begann erstmals nach vielen Jahren eine Zeit des Friedens. Die Drachen waren zwar noch gefürchtet, doch ihre Jäger wurden immer weniger. Die Magier hatten ihre Akademie eröffnet und immer mehr Wesen erlernten die Kunst der Magie. Nur in der Politik kam das Land nie so wirklich zur Ruh’, sodass einige Könige kamen und gingen. Und trotzdem durfte man von einem Frieden sprechen… bis dieser von einer gewaltigen Explosion zerrissen wurde. Der Ankrar, Sitz der Magierakademie, explodierte und zerstörte die eigentlich schöne Vulkaninsel. Bis heute ranken sich Gerüchte um den Grund des Ausbruchs des Vukans…Wenn ihr mich fragt, ist es nur ein Zeichen für die Macht der Magie und deren Meister. Der Ausbruch markierte den Anfang vom Ende der Magier, verschwanden sie doch zusehends aus dem Land. Warum mich das betrübt? Dies kann jemand, der die Wunder der Magie nie gesehen hat, wohl nicht verstehen.“

Ankrar_putt

„Es betrat Edmund Tyndall die politische Bühne als König. Er wollte das Land eigentlich mit starker Hand zusammenhalten und führen, hat aber das Gegenteil bewirkt. So schaffte er es nicht sein Volk hinter sich zu bringen und Anschuldigungen, er würde sogar Städte anzünden, um seine Herrschaft aufrechtzuerhalten, machten schnell die Runde. Zudem kam es unter seiner Herrschaft dazu, dass ein Kult anfing, dieses Land zu plagen. Dieser Kult, der sich in Kalgar, einem kleinen Zwergendorf, zusammenfand und dort Tiere – und wie man sagt, Menschen – ihren abscheulichen Götzen opferte, wurde unter dem zerstrittenen Königreich von Edmund Tyndall immer größer und mächtiger. Als sich das zerstrittene Land endlich zusammenraffen konnte und man sich endlich entschloss dem Treiben Einhalt zu gebieten, war es fast zu spät gewesen. Doch man sammelte ein Heer und marschierte nach Kalgar, um den Kult in einer großen Schlacht zu vernichten. Als der letzte Kultist gefallen war, die Hallen des Verstecks verschüttet und somit die seltsame Anomalie, welche den Kultisten scheinbar ihre Kraft gab, versiegelt wurde, hofften wir, dass es nun Frieden gab und für kurze Zeit sah es auch so aus. Wie wir uns alle täuschten…

Diese seltsame Anomalie, welche die Kultisten mit ihrem Treiben wohl zu stärken versuchten, breitete sich lange Zeit unbemerkt aus. Ein riesiger Riss spaltete den Berg, in welchem zuvor das Versteck der Kultisten gelegen hatte. Aus dem gewaltigen Riss breitete sich ein kalter, gruseliger Nebel aus, dessen Existenz immer noch viele Fragen aufwirft. Besonders seitdem auch auf dem Ankra dieser Nebel entdeckt wurde. Edmund Tyndalls Herrschaft endete mit seiner Ermordung und er wurde so der letzte König eines vereinten Aegorins, denn viele Städte ergriffen die Möglichkeit, um ihre eigenen Reiche zugründen.“

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„Aber nun husch husch! Eine alte Dame wie ich braucht nun, nach einer so langen Erzählerei, ihre Ruhe. Doch behaltet Euch gut im Kopf, was in diesen Landen passiert ist. Vielleicht werdet Ihr irgendwann dieses Wissen brauchen, um Fehler zu vermeiden. Wer weiß was es Euch sonst kosten könnte? Achtet gut auf Euch.”

Mit diesen Worten wendet sich die alte Dame nach einer höflichen und vor allem respektvollen Abschiedsgeste um und verschwindet in der Dunkelheit. Du blickst ihr noch einige Momente nach, ehe du dich auch zum gehen wendest… wie viele der Geschichten mögen wohl wahr sein? Und welche wirst du in diesem seltsamen Land wohl erleben?